War der Kraichbach im Mittelalter ein Fluss?

In Reilingen kennt jeder natürlich die Kraich, der Bach, der Reilingen im Westen tangiert und dann Richtung Hockenheim weiterfließt. Der Bach war in der Geschichte der Wersau ein wesentlicher Bestandteil, hat mit Sicherheit den Standort der Burg bestimmt. Wie weit das allerdings ging, stellt sich jetzt erst heraus. Doch dazu später mehr.

Es gab in der Vergangenheit zahlreiche Veränderungen des Bachlaufs. Was wissen wir darüber? Sicher ist, dass bereits bei Gründung der Burg ein Graben mitten durch das Burggelände gezogen wurde, der teilweise den Burggraben bildete. An diesem Graben ist seit dem 16. Jahrhundert eine Mühle bezeugt. Allerdings spricht nichts dagegen, dass eine solche bereits weit früher vorhanden war.

Der Graben zweigte jedenfalls südlich des Burggeländes vom Kraichbach ab und floss dann nördlich wieder mit ihm zusammen. Besonders im Norden, also am Beginn des Mühlwegs, ist die Situation sehr chaotisch: Hier wurde der Verlauf im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach geändert:

  • Beim Bau der letzten Mühle, 1869, wurde der Bachverlauf auf die äußere Seite des Mühlengebäudes verlegt (und schmerzlicherweise mitten durch die Ruinen der mittelalterlichen Burg)
  • Auf der Karte von 1893 verlief der Mühlbach parallel zum Schloßmühlenweg bis nach Reilingen hinein, um dann am Heutigen “Löwen” vorbeizufließen.
  • Irgendwann im frühen 20. Jahrhundert wurde der Bach dann in den heutigen Verlauf nördlich der Burg umgeleitet.
  • In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde auch der seit 1869 bestehende Mühlgraben zugeschüttet und der ursprünglich als “Kehrgraben” dienende Überlauf bildete damit den neuen Verlauf der Kraich.

Damit wird klar, dass der nördliche Bereich der Burg recht häufig “umgegraben” wurde. Ausgerechnet hier liegt aber auch der Eingang zum alten Burggelände und einige der mächtigsten Mauern, die wir bisher auf dem Gelände gefunden haben. Zum Glück sind nämlich direkt vor dem alten Tor die Pfeiler einer Brücke erhalten. Genauer gesagt eigentlich von zwei Brücken, die zeitlich hintereinander dort standen.

Im Bild sind die Pfeiler aus dem Mittelalter nicht zu sehen, da sie zum Teil unter den jüngeren Pfeilern liegen. Wie man sehen kann, muss die Brücke einen Graben von mindestens 8 Metern überbrückt haben. Für einen Burggraben des Hochmittelalters ist das schon sehr breit.

Im letzten Winter überprüften unsere Archäologen, Dr. Roland Prien und Tina Schöbel nochmals Fotografien der Grabungen aus den Jahren 2010/2011 und machten dabei eine Entdeckung: Auf der bereits wieder verschütteten Fortsetzung zeigt sich nämlich hinter dem letzten Pfeiler der Ansatz für einen weiteren. Dies erweitert den Graben, der hier überbrückt wurde, auf mindestens 15 Meter. Für einen Burggraben viel zu viel.

Wenn das aber kein künstlicher Graben war, dann bleibt nur der Bach, der in seiner natürlichen Form wohl eher ein Fluss war. Und jetzt passen einige andere Puzzleteile plötzlich ins Bild.

Quelle: Openstreetmap.de

Wie man auf Landlkarten erkennen kann, ist der Feldweg, der vom Schlossmühlenweg nach Osten führt, Richtung Süden seltsam gekrümmt. Dafür gibt es keinen Grund, außer dem, dass die Wiese rechter Hand um einiges tiefer liegt, als das Wegniveau.

Zusammen mit der Information, dass einige Meter weiter nördlich früher ein Fluss war, ergibt sich plötzlich ein ganz anderes Bild. Kann es sein, dass die ganze Burg zu Beginn in einer Flussschleife angelegt wurde, um die Errichtung eines vollständigen Burggrabens zu sparen? Der tatsächlich vorhandene alte Graben, der östlich der Burg lag (und auch den Mühlgraben bildete) würde also die Flussschleife mit der Burg darauf in eine Insel verwandelt haben.

Auch wenn das alles nahe liegt, ist es immer noch nur eine Hypothese. Allerdings kann man die mit weiteren Fakten unterfüttern. Im Herbst dieses Jahres wollen Geografen der Universität Heidelberg nach dem vermuteten Flussbett suchen. Mit einfachem Bohrgerät, das Proben der Sedimente in den entsprechenden Bereichen aus dem Boden zieht, werden wir bald mehr wissen.

Wer heute am Ufer der Kraich steht, bemerkt besonders in regenreichen Sommern wie diesem, dass der Bach eine erhebliche Tiefe hat. Diese Wassermassen sollten durchaus dazu ausreichen, auch einen 15 Meter breiten Fluss zu speisen. Jahrhundertelange Einhegung und Nutzung haben wahrscheinlich aus dem Fluss einen Bach gemacht.

(In einer früheren Ausgabe waren einige Teile des Luftfotos falsch datiert. Wir haben das korrigiert- 4.10.2024)